Beflügelt von den Fortschritten, die wir bis jetzt gemacht hatten, nahmen wir uns morgens vor bis nach Norwegen zu fahren. Einen Campingplatz hatten wir auch schon ins Auge gefasst. Und da das Wetter ohnehin nur Regen für uns in Aussicht hatte, gab uns das zusätzliche Motivation voran zu kommen. Soweit lief auch alles ganz reibungslos. Wie erwartet bot uns die Route nur wenig Abwechselung: Bäume, Bäume, Abzweigung, Bäume, Bäume, Bäume, Bäume, ein Haus, Bäume … usw. Und das wäre dann auch ganz unaufgeregt so weiter gegangen, hätten wir nicht eine kleine Rast in Skellefteå gemacht, um uns mit Wasser und Brötchen zu versorgen. Dabei griff ich in meine Jackentasche, und fand dort ein Band, mit einem Schlüssel daran. Das wäre ja jetzt nicht so was aufregendes, wenn es nicht der Schlüssel zu den Duschen vom letzten Campingplatz gewesen wäre. Und das war jetzt ein bisschen doof. Wir waren schon über eine Stunde unterwegs, und zurück fahren würde unserer Zeitplanung empfindlich in die Quere kommen. Aber wir sind ja kreativ. In diesem Fall war das ganz simpel. Nach einem kurzen Telefonat mit dem Campingplatz – die waren äußerst entspannt, aber das sind Schweden anscheinend ohnehin; und ich hatte das Gefühl, wir waren nicht die ersten, denen das passiert ist – waren wir uns einig, wir packen den Schlüssel in einen Umschlag und schicken ihn mit der Post. Also auf und ein Post finden.
Eine Post zu finden war lächerlich einfach, das Navi vom Passat kennt tatsächlich auch die Poststellen in Schweden. So folgten wir dem Navi, und ganz in der Nähe gab es dann auch einen perfekten Parkplatz für ein Auto mit Anhänger.
Wir waren wieder im Spiel. Die Poststelle war in einem Supermarkt, den wir auch gleich fanden. Jetzt galt es nur noch in den Supermarkt zu kommen. Das allerdings war gar nicht so trivial, wie wir uns das dachten. So richtige Hinweise, wie man in den Supermarkt kommt fanden wir nicht. Wir wussten nur, dass er in dem Gebäude ist, vor dem wir standen. Aber da gab es keinen Eingang. Also rannte Raffael an der einen Seite des Gebäudes entlang, und ich an der anderen. Meine Suche endete an einer Parkdeck-Auffahrt, die nicht so richtig Fussgänger-geeignet aussah. Also machte ich mich auf den Weg zu Raffael, der allerdings nur die Lieferanteneinfahrt gefunden hatte. Ansonsten setzte sich auf der einen, wie auf der anderen Seite das nächste Gebäude fort. Ein freundlicher, betagter Schwede erkannte unsere Lage und fragte, ob er helfen könne. Das fanden wir super, und versuchten ihm irgendwie verständlich zu machen, dass wir den Eingang des Supermarktes suchen. Entweder konnten wir uns nicht verständlich machen, oder er war auch unbedarft in unserer Angelegenheit. Denn er schaute sehr grübelnd an dem Gebäude entlang, und zuckte dann verlegen lächelnd mit den Schultern.
Aber wagemutig wie wir nun mal sind machten wir uns zu der Auffahrt auf, und stellten uns den kommenden und gehenden Fahrzeugen entgegen. Sieges bewusst erreichten wir das Parkdeck, wo auch eine Familie mit Kinderwagen herum irrte, die wir bereits auf der Straße gesehen hatten, offensichtlich in der gleichen Mission unterwegs wie wir. Einen offensichtlichen Eingang konnten wir, so wie auch die Familie, immer noch nicht entdecken. Doch glücklicherweise gab es noch einige andere Leute, und die strömten geradewegs zu einer unscheinbaren Tür, die in ein Treppenhaus führte. Die Familie hatte noch eine Prüfung zu bestehen, denn es gab nur einen sehr engen Fahrstuhl, und sie hatten einen Zwillingsbuggy. Wir stürzten uns aber zielstrebig zur Treppe, und waren nach wenigen Stufen in einem schicken Einkaufscenter. Jetzt war das Versenden schnell erledigt, und da wir noch nichts gefrühstückt hatten dürstete es mich nach Kaffee.
Wir erkannten nun auch, dass der Eingang zu dem Einkaufscenter zu einer Fußgängerzone hin war, die auf der genau gegenüberliegenden Seite war, wo unsere Suche begann. Direkt am Eingang gibt es das „Espresso House“. Der Name, und das gepflegte Ambiente der Lokalität zogen mich sofort an. Während Raffael sich einen ein Euro Kaffee am nächsten Kiosk organisierte, bestellte ich mir im „Espresso House“ einen hervorragenden Milch-Kaffee. Also nicht falsch verstehen. Raffael sagte er wolle keinen Kaffee, sonst hätte ich ihm natürlich auch ein edles Gebräu besorgt. Erst als wir uns am Auto trafen sah ich, dass es sich einen Straßenecken-Kaffe geholt hatte.
Der Milch-Kaffee aus dem „Espresso House“ in Skellefteå ist das beste was ich seit langer zeit an Kaffee-Spezialität genießen durfte. Allerdings darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben, dass ich eigentlich in letzter Zeit fast nur Kaffee aus dem Hütten-Kaffee-Automaten trinke… Der Milch-Kaffe war wirklich sehr, sehr gut. Auf der Rückfahrt will ich noch mal Rast in Skellefteå machen.
Aber genug getrödelt wir hatten noch einen langen Weg vor uns. Den Schlüssel sicher auf den Weg gebracht, und bestens versorgt mit Kaffee, starteten wir zu unserer Tagesetappe und machten auch ordentlich Kilometer. Immer nach bereits beschriebenem Schema (Bäume, Bäume, Bäume, Haus, Bäume … usw.). Alle unsere Befürchtungen, wie in Nordschweden die Straßen aussehen waren vollkommen unbegründet. Selbst als es nach Lumeå ab und in Richtung Lappland ging war die Straße immer noch geteert und ordentlich. Sogar dann noch, als wir bei Överkalix runter von der Schnellstraße auf die Landstraße Richtung Pajala mussten. Dann hinter Pajala ging es rüber nach Finnland.
Beim Überqueren der Grenzen kam dann das Thema Zoll ins Gespräch. Dabei überlegten wir uns, ob wir uns überhaupt die Zollbestimmungen für Norwegen angeschaut hatten. Für Schweden hatte Raffael das ja genau recherchiert, und wir waren mit dem Dosenbiervorrat, den Essens-Begleitweinen und der erlesenen Sammlung ausgewählter Irischer Brände exakt innerhalb der Bestimmungen. Für Finnland waren die Zollbestimmungen ähnlich. Dann studierte ich die ADAC-Infos über Norwegen, und kurze Zeit später hatten wir eine kleine Herausforderung zu meistern. Denn nach Norwegen darf man nur 1 l Spirituosen, 1,5 l Wein und 2 l Bier einführen. Hat man keine Spirituosen dürfen es auch 4 l Bier sein. Das deckte sich nun leider nicht mehr so ganz mit unserer tatsächlichen Ausstattung. Allein das Bier würde uns ohne Deklaration wohl schon für eine Nacht in den Zollarrest bringen. Ganz zu schweigen vom Whisky, von dem wir deutlich mehr als 1 l dabei haben. Den Wein wollen wir überhaupt nicht mehr erwähnen. Bevor sich jetzt jemand Gedanken macht. Nein, wir saufen nicht ununterbrochen. Wir sorgen bloß dafür, dass es nicht durch Fehlplanung zu einem Mangel kommen könnte. Und Genussgetränke sind in Skandinavien echt teuer. Also gingen wir alle Optionen durch. Und viele fielen uns dabei nicht ein. Oberste Priorität hatte die Weiterfahrt. Die erste Option, alles in ein Schließfach zu sperren, scheiterte daran, dass der einzige Bahnhof, den wir fanden, schon geschlossen hatte. Option zwei die Sachen am Straßenrand verbuddeln, oder im Gebüsch verstecken, scheiterte an Raffaels Veto. Ich fand das ja eine abenteuerliche und kreative Aktion. Aber Raffael hatte bedenken wegen des Regens und ob man dann am Ende bis zum Knöchel im Schlamm steht. Also verfolgten wir Option drei. Wir machten uns für heute auf die Suche nach einen Campingplatz in Finnland und wollten versuchen den Betreiber zu becircen, um unsere Getränke bis zur Rückfahrt bei sich unter zu stellen. Und auf ging es quer durch Finnlands Norden.
Wie sich noch herausstellen sollte war es gar nicht so schlimm, dass wir es nicht mehr nach Norwegen schaffen würden. Denn kaum waren wir wieder auf der Straße begann der Niesel und leichte Regen bisher in einen Dauerwolkenbruch über zu gehen. Und damit nicht genug bestand ein Drittel unseres Wegs durch Finnland aus Baustellen. Und damit aus unbefestigter Straße, die im Regen zu befahren besonders anstrengend ist.
Da bin ich Raffael besonders dankbar, dass er das Fahren zum allergrößten Teil übernimmt. Hier hätte ich bestimmt sehr bald die Nerven verloren.
Besonders lustig sind die Baustellenampeln in Finnland. In Deutschland stehen da am Anfang und am Ende der Baustelle jeweils eine Ampel mit Antenne, und die schalten mal hin mal her. In Finnland stehen auch auf beiden Seiten der Baustelle jeweils eine Ampel. Aber dazu steht da noch ein Arbeiter mit Funkgerät und einem Schalter. Und nach Absprache wird die Ampel umgeschaltet. Es scheint mir, dass in Finnland die Lohnkosten nicht so hoch sind.
Nach zwei Stunden Baustellengezockel waren wir dann endlich auf der Zielgeraden nach Enontekiö, endlich wieder ohne Baustellen. Und Raffael war am Ende seiner Kräfte. Da dachte ich mir ich tue ihm was gutes und lade in ein Hotel ein. Aber Raffael wollte unbedingt Campen. Nichtsdestotrotz versuchten wir ein Zimmer zu finden, aber das Karma lässt sich nicht ins Handwerk pfuschen. Alle Hotels waren ausgebucht, zudem machten die Leute an der Rezeption einen eher reservierten Eindruck auf mich, so dass unser Anliegen mit dem Alkohol hier evtl. auch noch auf Schwierigkeiten gestoßen wäre.
Es blieb uns also nichts anderes übrig und wir machten uns auf zu dem Campingplatz, den wir bereits beim Einfahren nach Enontekiö gesehen hatten. Einen Stellplatz gab es auch sofort für uns, und die Dame an der Rezeption machte einen so freundlichen und netten Eindruck, dass ich Sie gleich mit unserem Anliegen überfiel. Tja, da konnte sie uns nicht wirklich einfach so eine Zusage machen, da musste sie den Chef frage. Und wie es der Zufall so will, kam der gerade zurück, und zur Tür rein. Also wiederholte ich vor ihm mein Anliegen, er musste schmunzeln, sagte erst nichts, und meinte dann ja klar, dass ist kein Problem. Irgendwas sagte er dann zu der Dame auf Finnisch. Und ich könnte schwören (also, nur das keine Missverständnisse aufkommen, ich kann kein finnisch) es war was in der Richtung „jetzt, schau dir mal die beiden Schluckspechte an“. Aber auf eine nette und freundliche Art und Weise, die beiden sind schon zum knuddeln. Also war unsere Herausforderung gemeistert. Viel weiter hätten wir heute sowieso nicht fahren können, und dazu waren die Sanitären Einrichtungen des Campingplatzes sehr angenehm.
Also ging es zum Stellplatz, Wohnwagen hoch gebockt, Strom rein und Heizung an. Das war allerdings auch eine kleine Herausforderung, denn was wir als Glücksfall ansahen, nämlich dass just bei unserer Ankunft der Regen aufgehört hatte, stellte sich auch als Glücksfall für gefühlte 90000 Moskitos heraus, die sich nach der Regenpause voller Gier auf uns stürzten. Im Moskitohagel organisierten wir den Stellplatz und spannten das Moskitonetz über die Dachluke. Dann ging ich erst mal Duschen. Als ich zurück kam war am Wohnwagen trotz aller Mückenplage die Tür sperrangelweit offen. Raffael meint:“Du irgendwas riecht ganz verbrannt, ich glaube da stimmt was nicht. Ich hab mal den Stecker raus gezogen.“ Eine erste Geruchskontrolle bestätigte die Annahme. Da ist irgendwas verschmort. Aber Raffaels Vermutung, es könne die Lampe sein, musste ich widersprechen und sein schlimmste Annahme bestätigen. Der Geruch kam aus dem Verteilerbereich im Schrank. Also Schrank ausräumen, und alles überprüfen. Tja, da hatte ich wohl bei der Endabnahme etwas übersehen. Da war ein falscher Sicherungshalter eingebaut. Bei der hohen Belastung durch den Heizlüfter hätte da ein Sicherungsautomat hingehört. Aber, zum Glück war es nur das, und zum Glück haben wir es beizeiten bemerkt. Das war dann schnell repariert, und der Geruch hatte sich zwischenzeitlich verzogen. Im Gegensatz zu den Moskitos, die die Gunst der Stunde nutzen. Wobei, einen Vorteil haben die Mücken in Skandinavien. Es pikst zwar manchmal wenn sie zu stechen. Aber es juckt bei weiten nicht so schlimmen wie bei unseren heimischen Mücken. Meistens sogar fast gar nicht.
Doch endlich war dieser Tag gelaufen, der eigentlich der lahmste der ganzen Reise hätte sein sollen. Und jetzt hätte ich fast das Highlight des Tages vergessen, das bei der ganzen Aufregung vollkommen unter gegangen ist. Auf dem Weg nach Pajala haben wir den Polarkreis überschritten. Dann haben wir erst mal am alten verfallenen Polarkreisplatz Bilder gemacht, bevor wir bemerkten, dass hundert Meter weiter ein neuer großer Rastplatz mit Schautafel ist. Dort kann man auch viel besser parken.
Wie auch immer, die Tatsache an sich wurde uns aber besonders bewusst, als wir mit Wohnwagen aufstellen und allem fertig waren. Denn obwohl es schon gegen 23 h war war es immer noch taghell, und so wird es in den nächsten Tagen auch bleiben, bis wir wieder über den Polarkreis fahren, und Richtung Süd-Schweden Reisen.